Hannelore Weimar, Deutschland
Hannelore Weimar, 50 Jahre alt, Lehrerin für Deutsch und Geschichte. 1976 war sie fertig mit ihrem Studium und elf Jahre später auch fertig mit ihrem Beruf und der üblichen Arbeitsweise. „Ich hatte auch oft das Gefühl, ob ich nun hier bin oder nicht hier bin, die Schüler lernen sowieso nicht. Man hat die Klassenzimmertür zu gemacht und dann hat man gearbeitet. Und hat eigentlich nicht gesehen, ob die anderen auch Probleme haben, denn keiner hat darüber gesprochen. Und jeder hat gedacht, der andere macht es ganz toll. Nur bei mir klappt es nicht, ne.”
Hannelore Weimar nahm eine Auszeit, auch weil ihre Kinder klein waren. An deren Grundschule erlebte sie, wie Schule noch sein könnte; entdeckte neue Methoden und bemerkte, wie jeder offene Unterricht scheitern muss, wenn der Lehrer keinen Blick für seine Schüler hat. Ihre Tochter lernt bis heute eher über Gefühl und Rhythmus, braucht eine andere als eine kognitive Ansprache. Plötzlich wurde der Mutter klar, was die Lehrerin an der Universität nie gelernt hat: Dass sie keine Klasse vor sich hat, sondern eine Schar von Individuen mit ganz vielen verschiedenen Lernstilen. Ihnen wollte sie in ihrem Unterricht gerecht werden. Sie studierte noch einmal, nun Pädagogik und suchte sich anschließend eine Schule, die für ihr engagiertes und lernbereites Kollegium bekannt ist: Die Werner-Stephan-Hauptschule in Berlin-Tempelhof. Vor sechs Jahren begann dort gerade ein Experiment.
Hannelore Weimar: „Wir haben (ja) an diesem Modellversuch selbstwirksame Schulen teilgenommen. Da geht es um Selbstwirksamkeitserwartungen, nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Lehrern. Was kann ich machen, wie kann ich meine Arbeit positiver gestalten. Und ich denke, wir haben in den drei Jahren, eine Menge darüber gelernt und auch mitbekommen. Wenn wir unsere Arbeit jetzt so gestalten, wie wir das jetzt machen, dann tun wir nicht nur den Schülern was Gutes, sondern im Endeffekt auch für uns.”
Hannelore Weimar: „Manchmal ist es auch jetzt noch schwierig. Der Bauch sagt, hää, und der Kopf sagt, jetzt pass mal auf und wenn man wirklich ehrlich zu sich selber ist, da kann man das auch feststellen, dass da vielleicht ein Punkt war, wo man nicht richtig reagiert hat.Wenn die keine Hausaufgaben gemacht haben, dass man sagt, brauchst ja gar nicht erst zu kommen, wenn du sowieso nicht arbeiten willst. Also Sätze, die den Schüler eher fertig machen, was man manchmal so dahin sagt, wo man denkt, so jetzt haste es ihm aber gegeben und jetzt beim nächsten Mal macht er bestimmt die Hausaufgaben. Was überhaupt nicht der Fall ist.”
„Ich habe z.B. vor ein paar Jahren angefangen Klavierspielen zu lernen und da habe ich festgestellt, wie schwierig das für mich ist, auch die Koordination zwischen rechter und linker Hand und was da für Situationen da auch aufgetreten sind, wenn meine Klavierlehrerin da gekommen ist, welche Blockaden da vorhanden waren, wie ich manchmal die blödesten Sachen nicht mehr wusste. Und seitdem weiß ich auch wie Schüler sich fühlen, die sitzen da und ich fragt die was, und die antworten nichts und man sieht richtig, wie die Panik im Gesicht abläuft. Und diese Erfahrung, ich habe bisher immer nur Sprachen oder so was gelernt. Da konnte ich immer auf alten Erfahrungen aufbauen. Aber das Klavierspielen war eine total neue Erfahrung für mich. Diese Erfahrung fand ich sehr, sehr hilfreich.”
Hannelore Weimar unterrichtet in den Förderklassen vor allem Mädchen und Jungen ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen, oft Schüler, die durch Krieg und Gewalt traumatisiert sind. Immer wieder kommt sie da an Punkte, an denen diese Jugendlichen innerlich abschalten, aussteigen. Trotz dieser Blockaden will sie auch diese Jugendlichen zum Lernerfolg führen. Und sie tut es übrigens erfolgreich: Neun von ihren ausländischen Schülern schafften im vergangenen Jahr den Übergang zum Gymnasium.
Hannelore Weimar: „Das hat man als Lehrer eben nicht gelernt und das müssen wir versuchen, uns selber so anzueignen ... Und auch wenn man sich die Fortbildungsverzeichnisse für Lehrer die schon in der Schule sind anguckt, sind bestimmte Bereiche immer noch ausgespart. Es geht eigentlich immer noch hauptsächlich um die kognitiven Bereiche.”
Das Stoffvermitteln aber ist es nicht, das den Lehrerberuf zu einem besonders nervenaufreibenden macht. Einheitlich sagen alle Lehrer - egal ob sie sehr engagiert sind oder trotz innerer Kündigung alltäglich vor der Klasse stehen - belastend seien für sie vor allem das Verhalten der schwierigen Schüler, die zu großen Klassen, die Zahl der Stunden und die geringe Möglichkeit, auch mal zu verschnaufen. In welchem Beruf sonst muss jemand unmittelbar und gleichzeitig sechs, sieben Stunden am Tag auf die Stimmungen und Bedürfnisse von bis zu 35 jungen, kritischen Menschen antworten? Tests ergaben, dass ein Lehrer an nur einem Vormittag Tausende soziale Kontakte hat, mehr als mancher Beruf in der Woche, im Monat, im Jahr. Jedes Mal sollte er sozial kompetent handeln, kann es aber oft nicht.
Informationen zum Schulprojekt Selbstwirksame Schulen unter "Modellversuch Selbstwirksame Schulen".
zitiert nach einer Sendung „Zeitfragen” des Deutschlandfunks:
Der Fortschritt ist eine Schnecke. Lehrer lernen lehren.
Ein Feature von Barbara Leitner.
Es sprach: Markus Hoffmann.
Regie: Steffi Ruh. Produktion Deutschlandradio Berlin 2001.
"Deutschlandradio"